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Während eines fünfmonatigen Aufenthalts in Krakau unternahm Wolfgang Bittner mehrere Reisen durch Polen, unter anderem nach Schlesien, wo er auch Orte seiner Kindheit besuchte. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Gedichte und ein Essay, die in diesem Band versammelt sind. Sie zeugen von Annäherung und Vertrautheit, von Fremdheit und Heimatlosigkeit, von Trauer, Skepsis und gutem Willen – vielleicht von dem „Versuch, sich schreibend Heimat zu bewahren“, wie es der Autor selber einmal formulierte. Wolfgang Bittner wurde in Gleiwitz/Oberschlesien, heute Gliwice/Polen, geboren. Er erlebte als Kind die Schrecken des Kriegsendes und der Vertreibung; das hat ihn geprägt, wie auch die Zeit nach dem Krieg in einem Barackenlager in Norddeutschland, und darüber schreibt er schon lange. Jetzt wendet er sich dem heutigen Schlesien und Polen zu, nicht ohne Rückblicke zwar, tastend und mit neuen Eindrücken, neuen Erfahrungen.

Pressestimmen

„Einmal mehr zeigt sich, wie souverän der Schriftsteller seine Beobachtungen, Gefühle und Gedanken in Sprache umsetzen kann. Ein lesenswertes Buch.“ (Fuldaer Zeitung)

„Bittner plädiert für ein offenes, partnerschaftliches Verhältnis zwischen Deutschen und Polen … ehrliche, ungeschönte Texte … Bittner verarbeitet in seinen Texten Erfahrungen mit dem Vertriebensein, mit Heimatlosigkeit und Identitätssuche.“ (Göttinger Tageblatt)

„Hier kommt Bittner als ein Mitbürger zu Wort, der die Verständigung mit den Nachbarn und das Miteinander allen Sprachbarrieren zum Trotz anstrebt … gefällt dem Leser das gute, treffende Deutsch.“ (Kulturpolitische Korrespondenz)
„Die Gedichte haben einen Zug ins Irreale, Groteske, manchmal ins Fantastische oder Satirische. Bizarre Ausflüge in die Fragwürdigkeit der Existenz.“ (Neues Deutschland)

„Wolfgang Bittner ist ein oft stiller und unbequemer Beobachter scheinbar nebensächlicher Dinge, denen er kraft des dichterischen Wortes eine höhere Dimension zuweist … Besonders eindrucksvoll und künstlerisch überzeugend ist Bittners politische Lyrik … Der Dichter ist nicht langweilig, und das würde schon genügen. Aber da gibt es noch einiges mehr. Mit wachen Augen, offenem Herzen und kritischer Distanz wandert Bittner in seiner alten Heimat, die Schlesien heißt.“ (Prof. Dr. Norbert Honsza, Universität Wroclaw)

„Das alles ist erfrischend zu lesen und informativ, wenn auch natürlich subjektiv. Der Autor hält nicht hinterm Berg, aber er ist dem Land und den Menschen zugetan – das ist der Grundtenor in allen seinen Texten. Er tritt für Verständigung ein, enthält sich jedoch jeglicher Anbiederung … In Polen gilt er als ein entschiedener Verfechter des deutsch-polnischen Dialogs und Fürsprecher der Verständigung. (DOD)

„… setzt sich der 1941 im oberschlesischen Gleiwitz Geborene mit seiner eigenen Herkunft und der aktuellen Gegenwart des EU-Neumitglieds Polen auseinander … keinesfalls eine Relativierung der deutschen Schuld …“ (Kölner Stadt-Anzeiger)

Leseprobe I

In die Vergangenheit zu reisen, um alten Spuren nachzugehen, kann erhellend und deprimierend zugleich sein. Schon seit langem wollte ich einmal zurück nach Auenrode und nach Koppitz, wo ich als Kind mehrmals mit meiner Mutter war … Wie überall in Schlesien, ist auch hier die Erinnerung an alles Deutsche fast völlig eliminiert. Das jedenfalls war mein Eindruck während der ganzen Reise durch diese Gebiete, das fällt mir immer wieder auf. Und ich frage mich, warum das so ist, denn damit begibt sich die polnische Bevölkerung eines wesentlichen Teils der Geschichte dieses Landes, das jetzt zu Polen gehört …
Wie aber soll Europa zusammenwachsen, wenn die Jugend geschichtslos aufwächst und von den Problemen des Landes, seiner Grenzgebiete und der dort lebenden Menschen keine Ahnung hat? Die einen sind von den Deutschen überfallen worden, die anderen von den Polen vertrieben – darüber muss Offenheit herrschen, auf beiden Seiten. Keine Aufrechnung, keine Verdrängung deutscher Schuld, aber auch keine Geschichtsklitterung und keine Lügen. Sonst sind die Reden von Aussöhnung, europäischer Gemeinschaft und gutnachbarlichen Beziehungen hohle Worte, weil unter dem Lack der offiziellen Verständigungspolitik die Vorurteile und Animositäten, das schlechte Gewissen und hier und da auch der Hass weiter schwelen, vererbt von einer Generation auf die andere … „Das müssen Sie verstehen“, erklärt mir Piotr. „Viele meiner Landsleute machen es sich einfach: Für sie sind die Deutschen Täter, weil sie damals Polen überfallen haben. Dass bei Kriegsende dann die Menschen, die hier lebten, zu Opfern wurden, will man nicht zur Kenntnis nehmen. Denn Täter dürfen keine Opfer sein …"
Zum Beispiel erklärt mir eine Krakauer Slawistin: „Wen, außer diesen Leuten von der Landsmannschaft, interessiert das noch, dass Wroclaw früher Breslau oder Gliwice einmal Gleiwitz hieß? Jetzt wollen die in Berlin ein ‚Zentrum gegen Vertreibungen’ einrichten. Die haben wohl vergessen, wer den Krieg begonnen hat.“ Ein Warschauer Politologe und Ost-West-Experte meint, man müsse in Polen aufpassen, dass man nicht zwischen Deutschland und Frankreich auf der einen und Russland auf der anderen Seite gerate. Um dieser, seiner Ansicht nach bedenklichen Situation zu begegnen, sei die Annäherung an die USA weiter voranzutreiben, wodurch außerdem die Position des Landes innerhalb der Europäischen Union gestärkt würde …
Der Beitritt Polens zur Europäischen Union wird sicherlich dazu führen, dass sich die Lebensbedingungen nach und nach angleichen – nicht nur wirtschaftlich und technologisch, auch der kulturelle Austausch kann und muss dazu beitragen, und hier hat Polen viel zu bieten. Grundlage der Verständigung zwischen Polen und Deutschen ist der endgültige Verzicht Deutschlands auf seine ehemaligen Ostgebiete im Jahre 1990 und der folgende Vertrag von 1991 über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die deutsche Kriegsschuld nicht vergessen und nicht heruntergespielt wird; sie darf aber – 58 Jahre nach Kriegsende – auch nicht mehr instrumentalisiert werden. So müsste es gelingen, aus der Verkniffenheit herauszukommen, die heute noch oft zu spüren ist.

Leseprobe II

Fahrt nach Legnica
Mistelnester in den Pappeln,
der Blick schweift
über abgeerntete Felder
zu den Wäldern da draußen,
Gedanken fliegen lassen,
unvorhergesehene Aufenthalte.
Dort, die Krähen, kümmerlich.
Das also war Heimat,
ist immer noch Heimat,
ist Heimat.

An der Bahnstation
müht sich ein Betrunkener
sein Fahrrad zu besteigen;
ihm ist anzusehen:
Er will zu seiner Frau,
seiner Mutter.
Es ist neun Uhr morgens.

Der Zug verhält und
die hübsche Schaffnerin
setzt sich einen Moment.
“Ach“, sagt sie, „Niemiec“,
heißer Kaffee aus Pappbechern.
Edward erzählt
von seinem Vater,
der aus Lemberg stammte
und als Zwangsarbeiter
in Braunschweig war.

Indianersommer in Krakau
Noch steht die Esche voll im Grün,
Sekretärinnen mit Sonnenbrillen gleiten vorüber,
als führen sie auf ihren Rollerblades
zur schwarzen Madonna nach Tschenstochau,
sie zur Mittagsstunde um Gnade anzuflehen,
wofür, das wird sich zeigen
(wer, bitte, hat ihnen Richtung gegeben?).

Doch die Ahornblätter färben sich schon bunt,
Tausende von Staren fallen ein in die Apfelbäume
des Klostergartens, wo Nonnen mit nackten Füßen
ihre goldblonden Haare trocknen,
die Gesichter zur Sonne als würden sie geküsst.
Wie zum Spaß werfen sie mir die roten Äpfel zu,
auch wir haben einen Indian-Summer.

In der Straßenbahn beschallen sich Jugendliche,
jeder mit einer Familienflasche Coca-Cola
und den geilen Schokoriegeln (ihr Frühstück),
auf dem Rücken Stars and Stripes. Der große
Marktplatz beherbergt Akrobaten, Novizen,
schöne Frauen und Fiaker. Geduldig warten sie
auf Touristen, werben: ENGLISH SPOKEN

„Der Krieg“, sagt meine Mutter
Dort bin ich früher einmal gewesen an der Hand
meiner Mutter: Koppitz und Auenrode und Wiesenthal.
Es war Sommer und der Krieg war weit weg,
da, woher die Briefe meines Vaters kamen.

Das heißt jetzt Kopice, Osiek Grotkowski und Wadochowice.
Das Forsthaus gibt es nicht mehr,
Schloss und Bauernhof verfallen.

„Der Krieg“, sagt meine Mutter, verbittert,
„ein Koffer und ein Rucksack, das war alles.“
Der Krieg kam über Nacht, kann mich dunkel erinnern,
wie ein schweres Gewitter, Blitz und Donner ziemlich lange
und die bösen Geister …

Aber Krieg ist in Wirklichkeit kein Ungewitter, unverhofft
und unabwendbar. In Wirklichkeit nämlich
wird Krieg gemacht von jemandem gegen jemanden,
wir gegen sie.

Und jemand sagt: “Ich konnte doch nicht dafür“
und fängt um Jahrzehnte zu spät an zu weinen.

Shoah
Das Grauen kam erst nach Tagen
1,5 Millionen und Zyklon B
Goldzähne für die Staatsmünze
IG Farben (Bayer Hoechst BASF)

Lemberg Warschau Lyon Köln …
geblieben sind ihre Koffer
Schuhe Haare Brillen
unter Fotos säuberlich die Daten

Starkstrom Stacheldraht
hier kamen die Züge an
Selektion Gaskammer Krematorium
hier und nicht weiter

Nach der Besichtigung
das Grauen kam das Grauen
1,5 Millionen
nach Tagen das Grauen