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Nach 25 Jahren kehrt Martin Heller als Chefredakteur der Lokalzeitung in die norddeutsche Kleinstadt zurück, in der er aufgewachsen ist. Schon bald gewöhnt er sich ein, alte Freundschaften leben wieder auf, er findet eine neue Liebe.
Doch neben der vermeintlichen Normalität zeichnet sich eine andere Wirklichkeit ab: Ein dichter Filz aus Korruption, Beziehungen und Abhängigkeiten versteckt sich hinter gutbürgerlicher Fassade, eine rechtsradikale Kameradschaft hat erstaunliche Macht und wird gedeckt, der Herausgeber und Eigentümer der Zeitung und andere Größen der Stadt sind in die Machenschaften involviert.
Martin Heller geht gegen den Filz vor, auch wenn das ein hohes Risiko für ihn und sein direktes Umfeld bedeutet.
Ein spannender Roman über Vetternwirtschaft und Intrigen, über Mut und Scheitern, über Liebe und Freundschaft und über den ganz normalen politischen Wahnsinn in unserem Land.

Medienresonanz (eine Auswahl)

„Wolfgang Bittner hat ein modernes (politisches) Märchen geschrieben. Wie auch in seinen anderen Romanen, trägt er Fakten zusammen, er analysiert, entfaltet einen gesellschaftlichen Hintergrund, lässt sein Personal agieren und er veranschaulicht die politischen, psychologischen und sozialen Zusammenhänge. Das alles schnörkellos in verständlicher und gerade deshalb kunstvoller Sprache und weder bierernst noch belehrend. Die Geschichte des Journalisten Martin Heller fesselt, sie macht traurig, wütend, neugierig – und sie macht Mut.“ (Neue Rheinische Zeitung-online)

„Ein sehr spannendes Buch mit einer schnörkellosen Sprache, die geradeaus zielt und mit einer Geschichte, die einen direkt anspricht.“ (WDR3 Mosaik)

„Der Erzähler schildert das kleinstädtische Milieu so genau, dass er weder in gut gemeinte politische Agitation abgleitet noch der Verlockung nachgibt, seine Geschichte mit den heute gängigen Thrillerzutaten Blut und Sperma aufzupeppen. Die Figuren sind keine zu bloßen Typen stilisierte Handlungsträger, sondern lebensecht gezeichnete Menschen … Nicht zuletzt das spricht für die Erzählkunst seines Schöpfers.“ (Hintergrund)

„Politische Literatur ist zurzeit nicht gefragt – und deshalb umso wichtiger. Wolfgang Bittner, der seit jeher seine Bücher unbeeinflusst von Moden und Trends schreibt, hat einen neuen Roman veröffentlicht, in dem es unter anderem um Rechtsextremismus geht …“ (Göttinger Blick)

„Wie in seinen anderen Romanen zieht Bittner wieder alle Register. Das macht die Geschichte um den Journalisten Martin Heller, die ganz unspektakulär und scheinbar mühelos, aber auf hohem Niveau erzählt wird, nicht nur lesenswert, sondern darüber hinaus informativ und überaus spannend.“ (Neues Deutschland)

„Bittner ist ein feiner Beobachter gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Vorgänge …“ (Anzeiger für Harlingerland)

„Bittner gelingt es, hinter der Fassade einer Kleinstadtidylle den ganz normalen politischen Wahnsinn aufs Korn zu nehmen. Es ist ein gutes und wichtiges Buch, das an die Zivilcourage und Menschlichkeit eines jeden appelliert.“ (dpa/Focus online)

„In dem humanistischen Anspruch, den Bittner seinem Protagonisten abfordert und dem er in seinem Roman als Autor nachkommt, folgt er einer aufklärerischen Tradition des Denkens; mit seiner Geschichte liefert er eine scharfsinnige, aufrührende Analyse der ‚wirklichen Wahrheit unseres Leben‘. Das Buch ist zeitlos und brandaktuell zugleich.“ (Leipzigs Neue)

„Es gibt ihn noch! Den Roman, der lesenswert ist, in der Jetztzeit spielt und (endlich) wieder die gesellschaftliche Realität spiegelt … Bittners Roman gehört zu den besten Büchern, die ich in diesem Jahr lesen durfte. Wolfgang Bittner ist ein Solitär unter den deutschen Schriftstellern … mit ‚Hellers allmähliche Heimkehr‘ ist ihm der ganz große Wurf gelungen.“ (Ossietzky)

Leseprobe 1

Heller machte sich Notizen und rief dann bei der Polizei an, während Kalweit, der inzwischen eingetroffen war, die Fassade fotografierte. Man werde der Angelegenheit nachgehen, wurde ihm versichert. Aber man solle aus einer Mücke keinen Elefanten machen. Ebenso wenig solle man den Anschlag bagatellisieren, hielt er dem Beamten entgegen. Die Schmierereien wiesen doch eindeutig darauf hin, dass es in Salfelden eine Gruppierung mit neonazistischem Hintergrund gebe, die zu Militanz neige. Der Anschlag wie auch die wiederholten Einschüchterungsversuche und die Schmierereien am Haus der Psychologin, am Irish Pub, Kalimera und an dem Redaktionsgebäude des Stadtmagazins seien seines Erachtens sehr ernst zu nehmen. Wer dem nicht energisch nachgehe und die Schuldigen ausfindig mache, müsse sich nicht wundern, wenn es zu Schlimmerem komme.
Er solle die Sache nicht dramatisieren, sagte der Beamte, man versuche das Möglichste.
„Was heißt ‚dramatisieren‘!“ Heller vermochte sich nicht mehr zu beherrschen. „Ich habe den Eindruck, dass Sie die Angelegenheit nicht ernst nehmen“, fuhr er den Polizisten an. „Es geht hier nicht nur um Sachbeschädigung und Beleidigung, sondern dazu noch um Volksverhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das scheint Ihnen und Ihren Kollegen nicht klar zu sein.“ Er legte auf.
Agnes Sommer, die das Gespräch mitverfolgt hatte, bedankte sich. Sie trug das Haar heute hochgesteckt und einen Hausanzug aus dunkelblauem Samtstoff, der ihre schlanke Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Heller überlegte, ob ihr das bewusst war. Offensichtlich nicht, denn sie bewegte sich ohne jede Affektiertheit. Heute erschien sie ihm hübsch und mädchenhaft, wieder ein wenig zu dünnhäutig, denn ihre geröteten Wangen verrieten eine starke innere Erregung.
„Kommen Sie doch morgen Abend um acht ins Irish Pub“, lud sie ihn ein. „Unsere Friedensgruppe trifft sich und wir wollen über die jüngsten Vorfälle beraten.“
„Ich komme“, versprach er und verabschiedete sich. Auf dem Weg in die Redaktion ging er beim Restaurant „Kalimera“ vorbei und sprach mit dem Wirt. Kostas, der bereits vor Wochen Anzeige erstattet hatte, bestätigte den Eindruck, dass die Polizei untätig bleibe. „Sie tun nichts“, rief er aufgebracht. „Vorgestern habe ich die Wand reinigen lassen, heute sind schon wieder Hakenkreuze neben der Tür.“ Er war besorgt und wirkte eingeschüchtert.

Leseprobe 2

Heller hatte den Tipp erhalten, dass sich die Kameradschaft, der er nun schon mehrmals in der „Krone“ begegnet war, zu einer Wehrsportübung treffen wollte. Nach dem Frühstück packte er ein paar Schnitten, seinen Fotoapparat und sein Fernglas in den kleinen Rucksack, den er gelegentlich für Ausflüge in die Natur benutzte. Dann machte er sich auf zu dem Bauernhof, der Berkemeier gehörte und von der Nazitruppe, die sich Standarte Salfelden nannte, für ihre theoretisch-ideologischen wie auch martialischen Zwecke genutzt wurde. (…)
Hier in der Geest waren viele der Felder und Äcker von diesen Wallhecken begrenzt, und manchmal hatten sich in einer spitzen Ecke oder an einer sumpfigen Stelle kleine Biotope mit Weidengebüsch, Erlen und Birken gebildet, die Vögeln und Wild Zuflucht boten. An so eine Stelle schlich sich Heller vorsichtig heran. Er überstieg den Wall und drang in das Gesträuch ein, bis er einen freien Blick auf die Zufahrt und in den an drei Seiten von Gebäuden umgebenen Innenhof hatte. Hier breitete er den Regenponcho aus, den er im Rucksack immer mitführte, legte die Kamera mit dem Teleobjektiv zurecht und betrachtete die Gebäude durch das Fernglas. Vor ihm befand sich ein Graben, dahinter ein Stacheldrahtzaun.
Es war jetzt zehn Uhr, nichts Bedeutendes tat sich dort drüben. Der Bauernhof, der anscheinend nur noch in sehr beschränktem Maße bewirtschaftet wurde, bestand aus einem sicherlich zwei bis drei Jahrhunderte alten Wohngebäude mit angrenzenden Stallungen unter einem Dach, wie es in dieser Gegend üblich war. Daneben gab es eine ebenso alte Scheune und einen großen kastenförmigen Mehrzweckbau jüngeren Datums. Im Gegensatz zu den älteren Gebäuden aus Klinkern, war der Neubau in Fertigbauweise errichtet, was ihm ein nüchternes, nicht in das ursprüngliche Ensemble passendes Aussehen gab. Vor der Tür des Wohnhauses stand ein grüner Jeep, lange Zeit war niemand zu sehen. Nur einmal ging eine ältere Frau zwischen dem Wohnhaus und der Scheune hin und her. Heller richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. Er machte es sich in seiner Deckung bequem und verhielt sich ruhig.
Obwohl der Anlass nicht gerade erfreulich und auch nicht ungefährlich war, tat es gut, wieder einmal in der Natur zu sein. Vor der höher steigenden Sonne wurde er von einer Eberesche geschützt, in deren Zweigen ein Taubenpaar ihr Nest hatte, das ihre Jungen fütterte. Meisen hüpften umher, am Rande eines entfernten Maisfeldes äste ein Rehbock und in der Bläue des Himmels kreisten zwei Bussarde. Die Wiese, die sich bis nahe an die Gebäude hinzog, war durchsetzt von leuchtend roten Blüten des Klatschmohns und kniehohen Mariendisteln, weiter hinten grasten auf einer Koppel mehrere Pferde. Ein Bild, wie von einem alten Meister in Öl gemalt. Hin und wieder wurde die Stille von den scharfen Schreien der Bussarde und dem krähenden Ruf eines Fasanenhahns durchbrochen.
Auf einmal begann es auf der Zufahrt zu knattern. Zwei Motorräder fuhren auf den Hof. Die beiden Fahrer trugen schwarze Lederkleidung und Motorradhelme in Form der Stahlhelme der ehemaligen deutschen Wehrmacht; wenn nicht alles täuschte, befanden sich seitlich SS-Runen. Heller stellte die Kamera ein und fotografierte. Als die Fahrer ihre Helme abnahmen, erkannte er Justus Ritter und Andi Behrens, deren Gesichter ihm von der Maikundgebung und Kalweits Fotos her bekannt waren. Die beiden verschwanden im Wohnhaus, kamen jedoch bald darauf wieder heraus. In demselben Moment hielt neben den Motorrädern ein Auto, dem zwei noch jüngere Männer entstiegen. Heller wischte sich die Augen. Waren das nicht die beiden Polizisten, die ihn zur Blutprobe genötigt hatten? Er war sich sicher, hielt die Kamera drauf. Die beiden Neuankömmlinge wurden von Ritter junior und Andi Behrens freundschaftlich begrüßt, palavernd blieben sie auf dem Hof stehen. Im Abstand von wenigen Minuten kamen noch zwei weitere Autos mit je vier Personen und einige Motorradfahrer an; die meisten der Ankömmlinge trugen Kampfanzüge in Camouflage. Nachdem auch sie mit großem Hallo begrüßt worden waren, gingen alle in das Mehrzweckgebäude.
Nach den Gesichtern zu urteilen, die Heller sich mit dem Fernglas herangeholt hatte, gehörten zu dieser Gesellschaft nicht nur einige bullige Dumpfbacken, sondern auch zwei Frauen und mehrere durchaus intelligent wirkende junge Männer, vielleicht Schüler oder Lehrlinge. Was brachte solche Menschen dazu, sich einer Nazitruppe anzuschließen und dümmliche nationalistische Parolen zu verinnerlichen und zu verbreiten? Er musste an einen Hochschullehrer denken, der ihnen während seiner Studienzeit in einem Seminar die Theorie eines von den Nazis geschätzten Philosophen nahegebracht hatte, wonach der Mensch ein „instinktgebundenes, antriebsüberschüssiges Mängelwesen“ ist, das der Führung bedarf. Schon damals hatte er zum Missfallen des Professors gemeint, Menschenbildung und eine humane Erziehung seien wichtiger als „Führung“, und „Führertum“ biete keine wirkliche Perspektive für denkende Menschen, erst recht nicht für solche mit moralischen oder charakterlichen Schwächen. Er erinnerte sich noch gut an die folgende heiße Diskussion, in der er den Kürzeren gezogen hatte. Erst Jahre danach hatte er gelesen, dass dieser Arnold Gehlen, um den es ging, einen Cousin namens Reinhard Gehlen hatte, der bis 1945 Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“ und somit Chef der Ostspionage im Generalstab der Hitler-Wehrmacht gewesen war. Die Cousins machten auch in der neuen deutschen Demokratie wieder Karriere: Arnold, der „Extremist der Ordnung“, schon ab 1947 als Soziologieprofessor, Reinhold als erster Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Das waren zwei Fälle von vielen, in denen alte Nazis bald nach dem Ende ihres „Dritten Reichs“ wieder in Führungspositionen kamen, sozusagen die Spitze eines riesigen Eisbergs. Da brauchte man sich nicht zu wundern.
Jetzt wurden drüben die Tore des Mehrzweckgebäudes geöffnet, zwei Jeeps und ein gepanzertes Fahrzeug fuhren heraus, mehrere bis an die Zähne Bewaffnete mit schwarzen Gesichtsmasken liefen umher, es entwickelte sich eine rege Geschäftigkeit. Anscheinend wollten diese Waffenfetischisten ihrer bevorzugten Freizeitbeschäftigung nachgehen. Diese Leute gaben sich selbstbewusst, das war jeder ihrer Bewegungen anzumerken, sie fühlten sich in ihrer Gemeinschaft aufgehoben, ihre Ideologie gab ihnen den inneren Halt. Die geistige Armut derjenigen, dachte Heller, die einen Götzen, und sei es in Form einer Ideologie oder eines Vertreters einer Ideologie verehren, und sich dadurch immer weiter von sich selbst entfernen, und zwar mit der Folge von Fanatisierung und einer inneren Verhärtung, wie sie bei Menschen wie Berkemeier oder Hertenstein festzustellen war. Agnes Sommer, mit der er darüber gesprochen hatte, war der Meinung, dass es keine geistige Unabhängigkeit und keine innere Freiheit gebe, wenn der Mensch sich nicht von sämtlichen Bindungen und Festlegungen löse. Ein hoher Anspruch und ein nicht leicht erreichbares Ziel. Schon der Sozialpsychologe Erich Fromm, auf den sie sich gern berief, habe gesagt: Selbst wenn der Mensch seine Fixierung an Blut und Boden, an Mutter und Sippe überwinde, klammere er sich doch noch an andere Mächte, die ihm Sicherheit und Gewissheit gäben: an seine Nation, seine soziale Gruppe, seine Familie oder auch an seine Leistungen, seine Macht, sein Geld. Oder aber er werde so narzisstisch, dass er sich nicht wie ein Fremder in der Welt vorkomme, weil er selber diese Welt sei und neben und außerhalb von ihm nichts existiere. Und der Psychoanalytiker C. G. Jung, den die Psychologin ebenfalls sehr verehrte, war der Ansicht, dass aus den Anhängern solcher Vorstellungen jene beängstigenden Kranken entstehen, die eine prophetische Mission zu haben glauben. Diese Leute fühlten sich bei allem, was sie taten, im Recht; ihre „Vernunft“ war nichts anderes als die Summe ihrer Voreingenommenheiten und Kurzsichtigkeiten. Das war ihr Schutzmantel, der sie aus ihrer Vereinzelung und Verlorenheit befreite, den sie nun mit Zähnen und Klauen verteidigen wollten.
Die Jeeps und das gepanzerte Fahrzeug entfernten sich auf einem Feldweg in Richtung einer Baumreihe, hinter der sie verschwanden. Bald darauf waren einzelne Schüsse und Feuerstöße zu hören. Heller, der weitere Fotos gemacht hatte, überlegte gerade, ob er den Fahrzeugen folgen sollte, um die Nazitruppe bei ihren Wehrübungen zu beobachten, als aus dem Wohnhaus ein älterer Mann mit einem Schäferhund kam. Der Mann trug trotz der Wärme eine grüne Joppe und Gummistiefel, über seiner Schulter hing eine Schrotflinte. Er sah sich nach allen Seiten um und folgte dann mit dem Hund an seiner Seite einem Trampelpfad, der ihn nach rechts aus dem Blickfeld führte.
Heller verwarf die Idee, die Nazis weiter zu belauschen. Er packte seine Sachen zusammen und war soeben dabei seinen Beobachtungsposten zu verlassen, als hinter dem Stacheldrahtzaun plötzlich der Schäferhund auftauchte, gefolgt von dem Mann mit der Flinte. Der Hund begann wie wild zu bellen, und der Mann, der den unerwünschten Späher entdeckt hatte, nahm die Flinte von der Schulter und rief: „Was wollen Sie hier? Bleiben Sie stehen!“

Leseprobe 3

Die Grabstelle fand er schnell wieder, sie lag unter Kiefern im hinteren Teil des Friedhofs. Nach dem Tod der Mutter hatte er einen Gärtner mit der Pflege beauftragt, das Grab war in gutem Zustand. Er pflanzte die Hortensie zwischen Efeu und Buchsbaum vor den Stein. Dann säuberte er seine Hände an einem Wasserhahn in der Nähe und setzte sich auf eine Bank.
Kein leichtes Leben, dachte er, sie haben es schwer gehabt. Wieder ging ihm der Spruch durch den Kopf: „Wer nichts erheirat‘ und nichts ererbt, bleibt ein armes Luder bis er sterbt.“ Die Eltern seines Vaters wie auch die seiner Mutter hatten nichts Bedeutendes besessen, was sie hätten vererben können. Sie waren 1945 aus ihrer angestammten Heimat im Osten des ehemaligen Deutschen Reiches vertrieben worden. Dass sie aufgrund ihrer Erlebnisse traumatisiert waren, war ihm erst nach ihrem Tod bewusst geworden. Der Großvater väterlicherseits hatte im Alter manchmal von der Nazizeit und seinen Kriegserfahrungen in Russland erzählt. Bei einer Stadt namens Woronesch an einem Fluss namens Don war er 1943 in russische Gefangenschaft geraten und erst mehrere Jahre nach Kriegsende nach Deutschland zurückgekehrt. Die Arbeit in einem Bergwerk am Ural hatte ihn körperlich und wohl auch seelisch ruiniert. Obwohl er eine Kriegsverletzung und ein Lungenleiden davongetragen hatte, war ihm keine Rente zugebilligt worden. Nach langer Arbeitslosigkeit hatte er schließlich wieder eine schlecht bezahlte Arbeit in seinem erlernten Beruf als Schreiner gefunden. (…)
Der Großvater war schon in den neunzehnhundertachtziger Jahren gestorben und die Großmutter war ihm kurz darauf gefolgt. Ihre Gräber gab es nicht mehr, sie waren eingeebnet, und in einigen Jahren würde es auch die Gräber seiner Eltern nicht mehr geben. Die Großeltern waren durch den Krieg ruiniert worden, die Eltern hatten noch jahrzehntelang unter den Folgen des Krieges gelitten. Sechs Millionen Tote in Deutschland, siebenundzwanzig Millionen in Russland, das war ein Teil der Bilanz. Aber die Kriege gingen weiter, sogar noch im einundzwanzigsten Jahrhundert. Seine Großeltern waren Pazifisten geworden, bei seinen Eltern hatte sich diese Einstellung schon verflüchtigt. Jetzt war eine Generation nachgewachsen, die von den Gräueln des Krieges nichts mehr wusste, und für manche war die Bezeichnung „Pazifist“ inzwischen schon ein Schimpfwort.
Sie hatten keine Ahnung, dachte er, sie waren naiv und unbedarft, anständige Menschen zwar, aber immer Opfer. Wie viele. In allem. Obwohl sein Vater der Meinung war, er blicke durch. Dieser Durchblick beschränkte sich dann aufs Schimpfen und Schwadronieren am heimischen Mittags- und Abendbrotstisch. Die Politiker, die Manager, die Banker, der Chef … Nach seiner Meinung war Politik ein schmutziges Geschäft. Das war ja auch nicht ganz falsch. Aber es lag vor allem daran, so dachte Heller, dass Leute wie sein Vater jemanden wie Berkemeier oder Hertenstein in Parlamente wählten, und sei es in den Stadtrat. Das war die Tragödie der Demokratie.